Kindercomics, funny strips oder Milieustudie? Drei komplett verschiedene Comicgattungen. Der Franzose Manu Larcenet beherrscht sie alle. Seien es die kindlichen Kosmonauten der Zukunft, Monster in Donjon oder sein vierbändiges Magnus Opus Der alltägliche Kampf.
Mit seinen neuesten Comics Blast und Die Rückkehr aufs Land strapaziert Larcenet diesen Spagat – und sieht dennoch gut dabei aus.
Liest man frankobelgische Comics nur in Übersetzung hängt der Eindruck eines Künstlers allein von den Veröffentlichungen seines deutschen Verlags ab. So tritt Manu Larcenet zunächst nur als Zeichner in Erscheinung: Er bebildert die Geschichten von Lewis Trondheim (Kosmonauten der Zukunft) und Joan Sfar (Donjon) auf grotesk aber stets niedliche Weise.
Und dann trifft einen ganz unvermittelt sein vierbändiger Comic Der alltägliche Kampf. Noch immer haben seine Protagonisten Knollnasen und sehen eher untersetzt aus, doch dieses Mal sind wirklich Manus eigene Figuren – semi-autobiografisch. Der Comic pendelt – stets exakt austariert – zwischen Tragödie und Komödie, zwischen schallendem Lachen und nachdenklichen Passagen und fängt so die Poesie des Alltags ein. Dieses perfekte Zusammenspiel aus Trauer, Wut , Lachen und Weinen hat Larcenet nun auf zwei Comics verteilt: Auf Blast und auf Die Rückkehr aufs Land.
Die Rückkehr aufs Land ist wie Der alltägliche Kampf, nur ohne die Tragödie
Gemeinsam mit dem neuen Asterix-Autor Jean-Yves Ferri hat sich Larcenet dazu entschieden, seine ganz eigene Rückkehr aufs Land in einen Comic zu verpacken. Was in Der alltägliche Kampf noch notwendiger Abschied von der Zivilisation war, wird in diesem Comic zur stereotypsierten Gegenüberstellung von Stadtmaus und Landmaus. Und ist dennoch nicht unlustig.
Der erste Band von Die Rückkehr aufs Land (beinhaltet zwei französische Ausgaben) kostet das Szenario bereits voll aus. Während seine Frau Mariette gut mit der Dorfbevölkerung klarkommt, sucht Manu förmlich die Konfrontation – und scheitert jedes Mal auf höchst amüsante Art und Weise an der einfachen Art der Landleute: Seien es seine Postergestaltung fürs alljährliche Schweinefest oder auch die Wortgefechte mit der alten Madame Mortemont.
Highlight dieses Humorfeuerwerks sind Manus Ausflüge mit den Männern des Dorfes. Gemeinsam gehen sie in den Wald, um Bäume zu fällen. Während die Männer sich für Manus Arbeit interessieren – vor allem für die „Geschichten mit den beiden Galliern“ – fürchtet Manu beim Fällen der Bäume eher um seinen Hals. Quintessenz aus der Episode: „Das Genick und Obelix“.
Genau an dieser Stelle zeigen sich die Schwachstellen des zweiten Bands. In Die Rückkehr aufs Land 2 werden dieselben Witze reanimiert. Wieder geht es in den Wald. Doch die Wortwitze wollen sich auf der Wildschweinjagd nicht einspielen. Deshalb muss der Nachwuchs her. Die eigentliche Idee vom Landleben tritt in den Hintergrund: Stadtmaus und Stadtmaus haben ein Mäusebaby: Die kleine Capucine. Die Gleichung geht nicht auf. Auch der alltägliche Kampf gegen die ländlichen Regengüsse ist nicht besonders lustig.
Was nicht heißen soll, dass es ein schlechter Comic ist. Larcenets runnig gags funktionieren immer noch. Das Landleben ist auch immer noch lustig. Aber es überzeugt eben nicht so sehr, wie der erste Band.
Blast ist wie Der alltägliche Kampf, nur ohne die Komödie.
Dieser Comic trifft einen wirklich wie ein Blast. Larecent lässt alle niedlichen Knollnasen hinter sich, kappt die semi-autobiografischen Verbindungen und konfrontiert Leser mit einer der dreckigsten Comicgeschichten der letzten Jahrzehnte. Sein Blast 1: Masse führt in die Untiefe der menschlichen Psyche.
Der Fettsack Polza Manzini steht unter Mordverdacht, er soll ein junges Mädchen getötet haben. Im Kreuzverhör soll der Antiheld zwei Polizisten die ganze Geschichte schildern. In Retrospektive erzählt Manzini ihnen von seiner Reise – die sowohl eine physische wie auch eine psychische Komponente hat, von seiner Abkehr von der Gesellschaft und von seinen Drogenexzessen. Der Tod seines Vater löst die Kettenreaktion aus.
Für Blast verzichtet Larecent auf seinen Cartoonstil und auf bunte Farben – außer für den Blast. Das Ergebnis ist keine aufgesetzte Schwarz-Weiß-Ästhetik, sondern eine dreckige Odyssee in den Wahnsinn. Die Stadt, der Tod des Vaters, die Gesellschaft droht Manzini zu erdrücken. Als Reaktion stopft er sich solange mit Schokoriegeln und Alkohol voll bis der Blast kommt.
Ein Blast, so erklärt er es den beiden Polizisten, ist die völlig Loslösung von allen Zwängen, ein Schweben zwischen Himmel und Erde. Wäre es zu einfach diesen Rausch als Drogensucht zu interpretieren? Für Manzini ist der Blast viel mehr: Er beschreibt ihn nicht als Eskapismus, sondern als Hinwendung zur Welt, als Veränderung der Wahrnehmung. Also dann vielleicht doch wieder nur ein LSD-Trip? So zumindest sehen es die beiden Polizisten. Doch man erahnt, dass mehr hinter diesen fast schon gewalt(ät)igen Farbexplosionen steckt.
Leider büßt bereits der zweite Band viel seiner Durchschlagskraft ein. Blast 2: Die Apokalypse des heiligen Jacky setzt das Verhör fort, setzt die Blasts fort, setzt aber nicht die Vehemenz des ersten Bands fort. Es fehlt der Überraschungsmoment, der den Leser von Band 1 ganz unvermittelt trifft. Man hat sich mittlerweile an Manzini und sein Ausbrüche gewöhnt, beginnt sogar ihm Empathie entgegenzubringen.
Was nicht heißen soll, dass es ein schlechter Comic ist. Blast 2 ist die logische Fortsetzung einer Entwicklungsgeschichte, wie sie der europäische Comic in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat. Im Gegensatz zu den langweilig werdenden Witzen in Die Rückkehr aufs Land dringt Blast immer weiter in die Psyche eines Menschen ein – vielleicht sogar weiter als in Der alltägliche Kampf.
Larcenet gelingt der Spagat fast perfekt, doch bevorzuge ich die ausgewogene Mischung von Der alltägliche Kampf im Vergleich zu seinen beiden Extremen.