Vor ein paar Monaten berichteten plötzlich alle Online-Zeitungen über ein und dasselbe Thema: Das Haus der Ideen, der Verlag Marvel Comics, hatte eine hervorragende Idee. Sie bestand darin, die Rolle eines Superhelden-Alter-Egos mit einer Muslima zu besetzen. Die Entscheidung wurde als mutiger Schritt gefeiert, doch dann hörte man nichts mehr.
Können der Comic und die kleine Kamala Khan, so heißt die neue Heldin, dem gerecht werden? Das muss Ms. Marvel #1 – erschienen am 05. Februar 2014 – beweisen.
Von Ms. Muslima…
Machen wir uns doch erstmal mit Kamala Khan bekannt. Wir treffen sie in einem Kiosk irgendwo in Jersey City, wo sie vor einer Vitrine und nach einem saftigen Sandwich lechzt: „delicious infidel meat„. Mit ihrem allerersten Satz zieht Kamala Vorurteile über Muslime ins Lächerliche: Denn mit dem Kampfbegriff „infidel“ ist nicht mehr der Ungläubige, der Christ, gemeint, sondern das Sandwich des Christen. Comic-Autorin G. Willow Wilson führt der Leserschaft vor Augen, wie schnell Worte für eigene Zwecke entfremdet werden können.
Kamalas Alltag/Kampf geht auch sofort weiter. Ohne es zu merken, nimmt sie eben jene in Schutz, die sich bewusst über ihre Religion lustig machen. Die freundliche blonde Amerikanerin versäumt es nicht – in ihrer recht aufdringlichen Weise – Kamalas Freundin Kiki auf ihr Kopftuch und Ehrenmorde anzusprechen. Ganz zu recht spiegelt der Comic die Einfältigkeit der Amerikaner wieder. Obgleich in Deutschland mit der Fernsehserie „Türkisch für Anfänger“ bereits Aufklärungsarbeit in diese Richtung geleistet wurde, gibt es auch hierzulande immer wieder Unwissen gegenüber dem Islam, das sich in dummen Sprüchen manifestiert:
Für seine Mitbürger kann man sich nur schämen. Obwohl sie noch kein Kostüm trägt, ist Kamala schon jetzt ist eine Superheldin – mit ihrem riesengroßen Herz negiert sie die Einfältigkeit, nimmt die Unwissenden in Schutz – sie ist Mittlerin zwischen zwei Glaubensrichtungen, denen immer wieder geholfen werden muss, aufeinander zugehen.
Aber natürlich hat Kamala auch ihre eigenen Konflikte zu bewältigen. Der Comic bietet Einblicke ins Innenleben der pakistanische Familie aus Jersey City. Wir sitzen mit Kamala, ihrem Vater, der Mutter und einem streng gläubigen Verwandeten am Tisch. Letzterer betet lieber als zu essen – und zu arbeiten. Der Comic lässt auch Muslime über ihre Religion reflektieren. Von Orthodoxen, über Liberale bis hin zu Muslimen, die nicht unbedingt Muslime sein wollen. Auf ironische Weise werden Vorurteile entkräftet: So weist Kamalas Vater seinen Glaubensbruder darauf hin, dass er sich Arbeit suchen solle, Allah würde das sicher verstehen. Gleichzeitig ist er aber immer noch der Patriarch, der seiner Tochter verbietet auf Feiern zu gehen – Feiern mit Jungs und mit Alkohol.
… zu Ms. Marvel
Kamala geht trotzdem. Wie viele ihrer Alter-Ego-Kollegen hat sie mit ihrer Andersartigkeit zu kämpfen, obwohl sie an dieser Stelle im Comic noch gar keine Superheldin ist, sondern nur ein Mädchen. Doch auch sie fühlt sich als Aussenseiterin: „Everybody else gets to be normal„. Dabei merkt sie gar nicht, wie normal sie eigentlich ist.
Nur in ihrer Fantasie kann Kamala dem Elternhaus entfliehen. Sie zeichnet sich in die Geschichten der Avengers, befreit mit Captain America und Iron Man als Ms. Marvel die Welt der kleinen Einhörner. Die Zeichnungen von Adrian Alphona (Runaways, Uncanny X-Force) passen sich der Erzählung wunderbar an und schildern die Welt aus der Sicht von Kamala.
Superhelden sind auf den ersten 20 Seiten von Ms. Marvel wirklich nur Nebensache. Und das tut dem Superhelden-Comic wirklich sehr gut. Endlose Schlägerei und das Stoppen des Superbösewichts treten in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen, die alltäglichen Kämpfe, die es zu bestreiten gilt – bei denen nicht immer automatisch der Held gewinnt. Doch am Ende kommen natürlich auch Superhelden, die Poesie in Urdu, der Nationalsprache in Pakistan, rezitieren.
Wenn es dem kreativen Team auch in den nächsten Ausgaben gelingt, Kamalas Welt in den Vordergrund zu stellen, dann kann Ms.Marvel wirklich ein super Comic werden, der einen Unterschied macht.
– Ms.Marvel #1 ist erhältlich in jedem gut sortierten Comicladen und bei Comixology.
– Einen Vorgeschmack auf den zweiten Band gibt es hier.
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