Es gibt in diesem Jahr für mich bislang nur einen einzigen Film, den wirklich jeder gesehen haben muss. Und das ist The Favourite. Wie bei einem guten Roman entwickelt Regisseur Yorgos Lanthimos seine Figuren langsam und lässt Leerstellen für die Zuschauer zum Füllen. Aber worum geht es in The Favourite?
Zu Beginn sieht The Favourite aus wie ein klassischer Historien-/Kostümfilm. Im frühen 18. Jahrhundert konkurrieren zwei Frauen um die Gunst der leicht verwirrt erscheinenden Königin Anne, gespielt von Olivia Coleman. Als ihre engsten Vertrauten kämpfen Sarah (Rachel Weisz) und Abigail (Emma Stone) nicht sehr damenhaft gegeneinander mit Händen, Füßen und allerlei hinterlistigen Tricks. Also eine klassische Dreiecksbeziehung, die sehr gut ohne männliche Protagonisten auskommt. Der Film skizziert die drei ungleichen Frauen nicht als Stereotype, sondern gibt Stück für Stück mehr von ihnen Preis. Dabei verändern sich nicht nur ihre Beziehungen zueinander. Auch in den Augen der Zuschauer machen sie eine Wandlung durch. Die durchtriebene Abigail nimmt den Platz der hart wirkenden Sarah ein, ohne dabei zu bemerken, welche Rolle sie wirklich spielt.
Den Frauen geht es nicht nur um Geld oder Titel, sondern um Kontrolle. Emotionale Kontrolle über die Königin und politischen Einfluss: Beide Frauen dirigieren Anne abwechselnd – und regieren dadurch. Denn Queen Anne wiederum gehorchen die Männer im Unterhaus. Ja, es spielen doch Männer in diesem Film mit. Mit ihren gepuderten Perücken und ihrem eitlen Politikergehabe sind sie die perfekte Staffage in diesem Kammerspiel. Es ist eine Wonne, ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich aufplustern, glauben zu regieren. Sind sie doch nur Spielzeug in einem Beziehungsstreit zwischen drei Frauen. Während der gesamten 120 Minuten stellt sich die Frage, warum Politik nicht immer so unterhaltsam ist – vielleicht mit Ausnahme der Brexit-Verhandlungen in eben jenem britischen Unterhaus.
Und was macht The Favourite so besonders? Aus meiner Sicht lässt Lanthimos sehr viel Raum, nicht für Interpretation – denn die Geschichte ist relativ eindeutig – aber für den Zuschauer. Jeder nimmt etwas anderes mit, jedem ist etwas anderes wichtig. Ich habe am meisten über die kostümierten Narren lachen müssen, die sich blamieren. Szene um Szene fiel mir auf, dass der Historienfilm gar nicht so anders ist als unsere Zeit. Die gepuderten Perücken und die pompösen Prunkkleider sind Fassade. Ihre Hinterfotzigkeit ist unsere Hinterfotzigkeit. Auch jeder von uns nutzt gelegentlich Ellenbogen und hinterlistige Tricks, um voranzukommen. Und auch unter uns gibt es Menschen, denen das mehr Spaß macht als anderen. Menschen können so wunderbare Wesen sein. Für mich erinnert Lanthimos in The Favourite daran, wie fies wir sein können.