Komplikationen beim Betrachten eines einzelnen Panels ergeben sich meist, wann man sie aus dem Kontext ihrer Kollegen reißt und alleine betrachtet. Als würde man ein Glied aus einer Kette entfernen, das ohne die anderen Glieder wenig Sinn ergibt. Doch hat sich gezeigt, dass auch die Analyse eines einzelnen Panels Rückschlüsse auf die Panel-Kette zulässt.
Wie sieht der Anfang einer solchen Kette aus? Man sollte annehmen, dass ein Comic hier erst erläutern wird, dass eine Exposition in die Geschichte hilft, oder zumindest eine Synopsis erklärt, was letzte Folge passiert ist. Wie die Anfänge in der großen Weltliteratur beugen sich auch Comics diesem Credo nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn bereits die literarische Vorlage der heute zu besprechenden Adaption, sich den Gesetzen des Geschichtenerzählens bewusst widersetzt.
Beginnen wir diesmal also von vorne, von ganz vorne: Das Panel der Woche stammt aus Martin Rowsons Adaption von The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman. Die gesamte erste Seite nimmt ein einziges Panel ein. Diese Form des splashpanel (ganzseitiges Bild) wird oft für Einleitungen verwendet, da man den ganzen Platz nutzen kann, um dem Leser sowohl Szenerie als auch Charaktere vorzustellen. Aber greifen wir mit der Interpretation nicht vor, sondern stürzen wir uns ins Großbritannien von Tristram Shandy, Gentleman.
Wir blicken auf ein schwarz-weißes Panel. Obwohl es keinen eigenen Rahmen hat – da es sich als splashpanel die Seite nicht mit anderen teilen muss – hat Rowson ihm durch einen komplett in schwarz gehaltenen Torbogen einen internen Rahmen gegeben. Wie durch ein Fenster blicken wir in eine steinerne Kerkerwelt. Durch Schraffuren und Kontraste erzeugt Rowson eine Szenerie, die an die labyrinthartigen Welten von M.C.Escher erinnert. Welche Abenteuer erwarten den Leser in dieser Welt?
Während der Kerker im Hintergrund darauf wartet, dass er betreten wird, sammeln sich im Vordergrund einige Figuren mit Perücken: Ein Mann mit Feder und Papier notiert etwas in der Ecke sitzend, ein Pärchen scheint im Gespräch zu sein, doch redet nur der Mann mit Hut und erhobenem Stock. Seine säuselnde Sprechblase, grafisch durch deren Ecken hervorgehoben, nimmt das komplette Zentrum des Panels ein und gibt den Originaltext des Romans etwas gekürzt wieder:
„I wish my father or my mother, or indeed both of them, as they were in duty both equally bound to it, had minded what they were about when they begot my; had they duly considered how much depended upon what they were doing, I am verily persuaded I should have made a quite different figure in the World from tha in which the reader is likely to see me.-„
Rowson bemüht sich in dieser Rede um die aberwitzige Perspektive des Erzählers, der in Retrospektive vor den Zeitpunkt seiner Geburt zurückgeht und über seine eigentliche Zeugung lamentiert. Dies tut er nicht, ohne am Ende den Leser als „reader“ direkt anzusprechen und auf die literarische Welt, die er liest, zu verweisen.
Die direkte Anrede setzt Rowson bildlich mit der Figur im Vordergrund fort. Ein perückter Mann grinst dem Leser direkt ins Gesicht und zeigt, dass nun „Volume I“ folgt. Aus der Perspektive wird nicht ganz deutlich ob sich die Figur in derselben Realität bewegt wie die anderen Figuren. Aber gerade diesen schmalen Grad zwischen der Lesewelt und der Welt in der die Figuren sich bewegen, bereisen Sterne und Rowson.
Ebenso wie diese Figur wird beim Umblättern deutlich – eine Analyse des gesamten Seiten-Layout entfällt ja diesmal – dass der detailverliebte Kerker keine weitere Rolle im Comic spielen wird. Wie eine billige Pappkonstruktion im Schultheater wird die Kulisse im ersten Panel auf Seite zwei noch einmal benutzt und dann im zweiten Panel durch eine ganz andere Szene ersetzt.
Wenn die Aufgabe des ersten Panels in einem Comic, die ist, den Leser einzuladen, dann hat Rowson auf ganzer Linie versagt. Falls aber die eigentliche Aufgabe darin besteht, auf den weiteren Verlauf der Handlung vorzubereiten, dann könnte Rowson dies nicht besser tun.
The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman eröffnet eine literarische Welt, die konsequent auf die eigene Konstruktion hinweist, sich über sie lustig macht und mit ihr spielt. Rowson bietet mehr als nur eine Illustration des britischen Klassiker. Er sucht nach Möglichkeiten, die Irrwitze unserer modernen Welt und der von Tristram Shandy grafisch darzustellen: Rowson erzählt und zeichnet einen kotzenden Wal, hüpfende französische Dekonstrutionisten, eine Oliver Stone Verfilmung von Tristram Shandy und scheut auch die digitalisierte Seite nicht.
All das setzt Rowson grafisch intelligent um. So sollte die moderne Adaption eines Klassikers aussehen.
Abbildung: © Picador/Martin Rowson