Greift man, ohne zu gucken, nach einem Buch, müssen die Augen erst die Buchstaben fokussieren, damit man erfährt, ob man am richtige Ende zugepackt hat. Bei einem Comic ist die Sache klarer, da die Panels für eine schnellere Orientierung sorgen. Wenn die Panels auf dem Kopf stehen, ist sofort klar, wo oben und wo unten ist und der Comic wird kurzerhand umgedreht.
Bei dem Panel der Woche aus Katharina Greves Comic Ein Mann geht an die Decke (Die Biblyothek) sieht der Sachverhalt schon ein wenig anders aus. Das fünfte, hochkant ausgerichtete Panel auf Seite 28 stellt die Frage, ob oben wirklich oben ist.
Die grafische Darstellung präsentiert sich in nüchternem Schwarz-weiß. Die von Greve verwendete ligne claire lässt sich mit Fug und Recht als deutsche Interpretation von Hergés Zeichentechnik bezeichnen, da alle Zeichnung eine zielstrebige Gradlinigkeit aufweisen. Rechte Winkel und Symetrieachsen bestimmen das Panel.
Wir sehen einen Raum, der genauso wie das Panel hochkant angeordnet ist. Sowohl die geöffnete Tür, die zwei Stühle und der Tisch als auch das Bücherregal erwägen den Eindruck, dass man das Comic drehen sollte. Allein die Bücher im Regal und das Telefon im Beistelltischchen trotzen der Überzeugungskraft ihrer Behausung. Wie gehen die Figuren mit diesem Sachverhalt um?
Betrachtet man ein Panel, geht man im Normalfall davon aus, dass sich alle Figuren und die Requisiten an die gleichen physikalischen Gesetzen halten. Im Beispielpanel sieht die Sache anders aus: Im rechteckigen Panel sehen wir drei Figuren. Die Majorität der Charaktere scheint Gefallen an der perfiden Situation mit der Schwerkraft gefunden zu haben. Einzig die Figur in der Mitte verhält sich korrekt der newtonschen Gesetze und bedarf einer Strickleiter, um die vertikale Distanz von der Tür zu ihrem Sitzplatz zu überbrücken.
Machen wir mal ein kleines Experiment und drehen das Panel um 90 Grad im Uhrzeigersinn:
Die Auflehnung gegen die Naturgesetze hat gesiegt, die Revolution ist beendet und der Nachzügler kraxelt wirkt wie ein Clown auf ein Strickleiter am Boden entlang.
Richten wir das Panel wieder auf und lösen dabei den Kontext auf, in dem das Panel steht, liegt oder hängt. Die Seite ist in sechs Panel eingeteilt, wobei die ersten vier und die letzten beiden dieselbe Form haben. Bereits auf den ersten vier Bildern wird eindeutig geklärt, dass der Protagonist, DER Franz, noch mit sich und der Schwerkraft ringt.
Zwischen dem zweiten und dem vierten Panel macht Greve unmissverständlich klar, das Franz sehr wohl ein Problem mit dem „Kommen Sie rein“ hat, da es für ihn einem „Kommen Sie runter“, einem Sprung in die Tiefe, gleichkommt. Aus diesem Grund wird für ihn auch die Strickleiter ausgerollt, die sich im sechsten Panel per Knopfdruck wieder zurückzieht.
Nachdem das Eintreten von Franz einem Kraftakt gleicht, versucht seine Gastgeberin durch eine Smalltalk wieder Normalität einkehren zu lassen: „Sitzen Sie bequem?“ Beschließen möchte ich diesen Eintrag mit der simplen Antwort von Franz, der aussieht wie ein Astronaut vor dem Start: „Es ist mehr ein Liegen“.
Comicgate-Kollegin Frauke Pfeiffer hat den Comic hier besprochen.
Katharina Greves Homepage.
Abbildung: © DieBybliothek/Katharina Greve