Über manche Filme traut man sich einfach nicht zu schreiben, aus Angst, ihnen nicht gerecht zu werden oder – was noch viel schlimmer wäre – sich selbst die Erinnerung an einen schönen Kinoabend kaputt zu machen. Ich hatte mir vorgenommen diesen Blogeintrag mit folgendem Satz enden zu lassen und anschließend nur noch den Trailer zu zeigen: „Aus diesem Grund werde ich kein weiteres Wort über Mike Mills (Thumbsucker) neuen Film Beginners verlieren.“
Warum ich mich dennoch entscheiden haben über Beginners zu schreiben, verrate ich nach dem Trailer:
Aus Angst vor dem Versagen etwas nicht zu tun, ist der größte Fehler, den man machen kann. So habe ich jedenfalls den Zustand verstanden, den Mills in Beginners beschreibt. Seine Protagonisten sind gefangen in einer schier unerträglichen Stasis. Sie trauen sich einfach nicht sich selbst zu befreien. Doch der (Gefühls-) Ausbruch steht unmittelbar bevor.
Oliver (Ewan McGregor) ist ein Mittdreißiger, arbeitet als Illustrator und ist mit einem Arsenal von Ringelpullovern und einem Dreitagebart bewaffnet. Alles scheint einigermaßen geordnet, obwohl unter den Streifen seiner Pullover die Trostlosigkeit unverkennbar hervorschimmert. Die Fassade zerbröckelt vollends als ihm sein Vater Hal (Christopher Plummer) nach dem Tod der Mutter erzählt, dass er schwul sei. Wie konnte er trotzdem 44 Jahre mit ihr verheiratet sein? Wenig später stellt sich auch heraus, dass Hal Krebs im Endstadium hat. Wie kann er trotzdem in diesen letzten Tagen glücklich sein? Diese Fragen bringen Oliver dazu, über sein eigenes Leben neu zu überdenken.
Dennoch wirkt Beginners durch diese schweren Themen nie überladen. Auf jede traurige Nachricht folgt eine Auflockerung, eine liebevolle Idee oder ein Dialog, der zum Schmunzeln verleitet. Nur wenige Filme können wirklich von sich behaupten, dass ihre Akteure sich miteinander unterhalten und sich ehrlich zuhören. Dabei beweist Mills wie einfach das doch ist, das Zuhören. Der wohl beste Zuhörer und geheime Held des Films, der Jack-Russel-Terrier Arthur, sagt fast nichts, doch wenn sein spärliches Repertoire an Worten im Untertitel dargestellt wird, bekommt der Zuschauer die Essenz der Situation als kompaktes Bündel verpackt.
Obwohl das Kennenlernen und die gemeinsame Zeit von Oliver und seiner neuen Freundin Anna (Mélanie Laurent) eine ganz eigene Magie des Zwischenmenschlichen entwickeln, liegt die eigentliche Stärke des Films im „Zwischenzeitlichen„. Mills erzeugt eine wunderbar herzliche Gefühlswelt anhand von Einzelbildern. Anhand dieser gleicht Oliver Vergangenheit und Gegenwart miteinander ab, um die Fragen zu lösen, die ihn umtreiben:
„Das ist das Jahr 2003. So sieht die Sonne aus, und die Sterne. Das ist der Präsident. So sah die Sonne 1955 und die Sterne und der Präsident.“
Manchmal korrigiert Oliver ein Bild, wenn es nicht zu seiner Erinnerung passt. Doch das eigentliche Zusammenfügen der Bildmontage überlässt Mills dem Zuschauer. Ihm wird eine Erinnerung – sei sie schön oder traurig – aus Olivers Leben, oder dem seiner Eltern, gezeigt, die er dann auf den heutigen Kontext beziehen kann. Das Resultat ist ein Geflecht der schönen Momente, das nicht zerreist, obwohl jemand, den wir mögen, von uns gegangen ist.
Im Kontrast zu diesen Filmbildern stehen Mills eigene Zeichnungen (Drawings from the Film Beginners), die als Olivers Illustrationen ausgegeben werden. Mills/Oliver zeichnet die Geschichte der Traurigkeit, die zwar noch nicht bei der Entstehung der Erde existierte, sich doch aber in den Verlauf der Zeit in sie eingeschrieben hat und parallel zu Olivers und Hals Geschichte verläuft.
In Beginners legt Mills gleich mehrere Zeitstrahlen nebeneinander und dabei lässt dennoch genug Raum für den Zuschauer. Selbiger wird eingeladen seinen ganz eigenen Zeitstrahl, seine Erinnerungen und Erfahrungen anzulegen, einen Teil von der Kinoerfahrung werden zu lassen. So wird die Gesamtheit der Erinnerungen nicht zu etwas Abgeschlossenem, sondern zu einer Ansammlung von Möglichkeiten: die Möglichkeit Fehler nicht mehr zu machen, die Möglichkeit schöne Momente mitzunehmen, aber auch die Möglichkeit die Traurigkeit zu bewältigen, bevor man mit dem Leben weitermacht.