Um eine Erzählung für den Leser zugänglich zu machen, sollte sie nach Möglichkeit eine gewisse narrative Kohärenz aufweisen. Sprich, die Geschichte sollte durchgehend erzählt sein, der Erzählstil und -perspektive sollte nicht zu oft wechseln. Bei einem Comic kommt die grafische Darstellung hinzu. Sie sollte nicht zu viele Veränderungen aufweisen. Wie ließe sich ein Protagonist ausmachen, wenn er auf jedem neuen Panel anders aussehen würde?
Andererseits macht gerade die Ambivalenz, die Spannung des Unbestimmten, des Wechselnden, das Interesse an der Literatur und auch am Comic aus. Nichts macht so auf sich aufmerksam, wie ein Bruch mit den Konventionen.
Das Panel der Woche stammt von einem Meister der Ambivalenz, der seine eigene Sprache für den Comic gefunden hat, die eine konventionelle Darstellung mit einem Drang zum Symbolismus verbindet. Die Rede ist vom Franzosen David B. Das Panel stammt aus dem Comic Auf dunklen Wegen (avant-Verlag). Auf Seite 91 ist es das erste Panel, dem vier kleinere folgen.
Das relativ große, rechteckige Panel leitet die Seite ein. Beim Betrachten des Bildes fällt es schwer einen Fixpunkt auszumachen, ein Zentrum von dem aus sich eine Beschreibung beginnen ließe. Enttäuscht fährt unser Blick zu der weiß unterlegten caption, um mehr Informationen zu bekommen, die eine Analyse des Panels ermöglicht.
Der Textbalken „Mit den Panzern wurden wir zu einer Meute stählerner Hunde“ weist auf einen Erzähler hin, der über die Vergangenheit berichtet. Das „wir“ deutet auf eine Gruppe von Personen hin, die in die Angelegenheit verwickelt waren. Das Panel zeigt eben diese Meute von stählernen Hunden, dogs of war, Söldnern, die für Geld in den Krieg ziehen. Da hier Hunde gegen Hunde kämpfen ist eine bestimmte Gruppe, das angesprochene „wir“ nicht genau auszumachen. Wahrscheinlich ist aber, dass die Hunde am linken Panelrand, das „wir“ darstellen, da nur sie Panzer tragen.
Eigentlich sind gar keine Figuren genau auszumachen. Die Meute von Hunden gleicht einem Knäuel von Menschen, das ineinander verwickelt und verkeilt ist. Obwohl die Uniformen und Waffen auf einen Krieg hindeutet, ist es schwer Freund und Feind zu unterscheiden, oder gar einen Sieger zu ermitteln. Es werden Pistolen und Granaten gezückt und Messer in das Fleisch des Gegenüber gestoßen, ohne das Blut zum Vorschein kommt.
Trotz dieser vielen Aktionen scheint das Panel still zustehen und gleichzeitig vor Spannung zu vibrieren. Dies liegt vor allem an David Bs Zeichenstil: Schaut man genauer hin, wird offenbar, dass die Linie keine klare ligne claire ist, sondern sich vielmehr kräuselt, eine ligne cru. Diese Form der Umrandung der Figuren rüstet die Meute neben den schützenden Panzern mit eine unglaublichen Spannung aus.
Die Darstellung erinnert unweigerlich an Picassos Guernica. Obgleich David Bs Panel in verschiedenste Blutrottöne getaucht ist und nur die Waffen heller hervorstechen, verbindet die beiden grafischen Darstellung eine Abscheu vor dem Krieg, der den Menschen zu einem fragmentierten Wesen werden lässt, der von der Gewalt des Krieges mitgerissen wird.
Der Comic Auf dunklen Wegen ist aber immer noch eine Erzählung, die sich durch eine Bilderfolge aufbaut. Das Panel der Woche ist nur ein Teil der Geschichte, obwohl man es auch einzeln lesen kann. Betrachtet man die ganze Seite, wird das symbolische Potential der Erzählung erst deutlich. Auf Panel 2, 3 und 5 sehen wir, dass die Protagonisten wirklich Menschen sein sollen, die zwar auch im Krieg sind, sich aber nicht ineinander verbeißen, wie Hunde.
Eben dieser Wechsel zwischen der symbolischen und der „realistischen“ Ebene erzeugt ein ambivalentes Bild der Grabenschlachten im ersten Weltkrieg. Das Grauen, das die Söldner erlebt habe, ist nicht in Worte und auch nicht in Bilder zufassen. Eine realistische Wiedergabe scheint nicht möglich. Stattdessen findet, ähnlich wie bei Picasso, eine symbolische Verarbeitung statt, die durch realistischere Figuren unterstrichen wird.
Eine vollständige Rezension zu dem Band findet sich unter www.tagesspiegel.de.
Abbildung: © avant-Verlag/David B.