Oft wird in den Medien von der
Macht der Bilder gesprochen. Es wir vermittelt wie stark unterschwellige Werbung uns bei unseren Entscheidungen beeinflusst und wie abhängig wir von der bildlichen Darstellung von Ereignissen sind. Ein Comic scheint in diesem Zusammenhang nicht die Authentizität und die Überzeugungskraft der bewegten Bilder für sich in Anspruch nehmen zu können. Die einzige Ausnahme, zumindest in meiner Leseerfahrung, stellt das Panel dieser Woche dar.
In der Crime-Noir-Comic-Reihe Neon Lit, von der nur zwei Nummern veröffentlicht wurden, findet sich in Perdita Durango auf Seite 103 unten rechts (das vierte und letzte Panel auf der Seite) ein hochkantstehendes, rechteckiges Panel, dessen Inhalt unserer Vertrauen in Bilder gehörig durcheinanderbringt.
Noch bevor man mit dem Beschreiben anfangen kann, werden durch den Inhalt des Panels eine Vielzahl von
anderen Bilder hervorgerufen. Aber beginnen wir trotzdem am Anfang. Das Panel zeigt eine
caption, die dem Leser folgende Information anvertraut: „We haven’t seen the last of these guys.“ Wie ein Epigramm prangt dieser Schriftzug über dem Bild auf dem die
Skyline einer Stadt zu sehen ist, aus der
zwei Türme emporragen.
Einer der beiden wurde offensichtlich beschädigt und brennt noch immer, während der zweite unbeschadet und regungslos neben ihm verweilt. Der Himmel verdunkelt sich je weiter sich das Auge dem Himmel nähert. Der Blick nach unten verliert sich im Gewusel kleinerer Häuser. Das Hintergrundweiß und die aufsteigende Rauchsäule zieht den Blick des Betrachters unweigerlich immer wieder ins Zentrum des Panels, auf die Zwillingstürme.
Als Einzelnes stellt dieses starre Panel viele Fragen, die sowohl an den Comic wie auch an die Gesellschaft gerichtet sind: Wie ist es bloß dazu gekommen? Was wird danach passieren? Das Panel kann diese Fragen nicht beantworten. Jeder Versuch es näher zu beschreiben, es zudurchdringen, um ihm Antworten zu entreißen, kann nur misslingen, da es von Tausenden von Eindrücken überlagert ist, die es selbst hervorruft.
Auch wenn die grafische Anspielung so eminent ins Auge sticht, möchte ich noch einen Augenblick auf die
grafische Darstellung eingehen. Der Zeichner von
Perdita Durango,
Scott Gillis (
RAW,
The New Yorker) verwendet die Technik des
Schabkartons, bei der der Künstler mit verschieden Kratz- und Schabwerkzeugen tiefschwarze Farbe von einem speziell bedruckten Karton entfernt. In Deutschland findet man diese Technik vor allem bei Künstlern wie
Thomas Ott (
T.O.T.T) und
Line Hoven (
Liebe schaut weg). Der Vorteil an dieser Technik liegt in der
undurchdringliche Schwärze der Oberfläche, die eher etwas verheimlicht als etwas preiszugeben und dabei keine Korrekturen zulässt – sehr schön beim Schweizer Ott zu sehen.
Aber kommen wir zurück zu den Fragen bezüglich dem Davor und dem Danach. Bob Callahan, der Barry Giffords literarische Vorlage für den Comic adaptiert hat, lässt die Seite von seinem Zeichner einfach strukturieren: Die captions in den vier gleichgroßen Panels geben einen Nachrichtenbericht wieder und ergänzen ihn durch grafische Informationen, die vom Fernseher ausgestrahlt werden, der eine Seite zuvor eingeführt wurde. Callahan erzählt von einer internationalen Verschwörung, vom CIA, vom Nahosten und von religiösen Fundamentalisten, von denen wir, wie in der letzten caption vermerkt, noch hören werden.
Die Reihenfolge der Panels – mit dem Resultat am Ende der Seite – liest sich wie ein historischer Bericht. Sie erzeugt einen Zeitstrahl, der ein Stück unserer eigenen möglichen Vergangenheit porträtiert. Dies funktioniert aber nur durch das letzte Panel, das sich mit unserem kollektiven Gedächtnis kurzschließt. Die drei vorangegangen Panels wirken dabei wie faction, eine Mischung aus Journalismus und Fiktion, eine mögliche Hinleitung zum letzten Bild.
Man lässt sich von der Überzeugungskraft der Bilder so stark leiten, dass man den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion nicht mehr erkennt. Unabhängig davon, wie diese Sequenz eine mögliche Historie belegt oder wie sie in das Road Movie Perdita Durango passt, darf nicht vergessen werden, dass dieser Comic bereits 1995 erschienen ist. Somit ist der qualmende Turm und sein (noch) unbeschadeter Zwilling kein Blick in der Vergangenheit, sondern ein Ausblick in eine mögliche Zukunft.
Abbildung: © Avon Books/Scott Gillis