Beim Wrestling gibt es eine Technik, die sich clothes line schimpft, bei der der Gegner erst in die gegenüberliegenden Seile des Rings geschleudert wird, nur um ihn bei seiner Rückkehr mit dem ausgestreckten Arm, der Wäscheleine, niederzustrecken. Das verbale Äquivalent dieser Technik sind die Pointen von Daniel Clowes. In seinem Comic Wilson trifft der amerikanische Künstler – Hauptgast des diesjährigen 20. Fumetto-Festivals in Luzern – den Leser mit der geballten Härte des amerikanischen Alltags.
Seit den Achtzigern gehört Daniel Clowes zu einer kleinen Riege von amerikanischen Künstlern, die mit ihren Arbeiten den amerikanischen Comic erneuert haben. Neben Chris Ware und Charles Burns erfindet Clowes Comicwelten fern ab von Superhelden oder rein autobiografischen Geschichten. Wie seine Kollegen ist auch Clowes ein exzellenter Beobachter des amerikanischen Alltags. In seinen Comics reflektiert er über eben diese Gesellschaft, die sich wohl am besten mit dem Adjektiv „perfide“ beschreiben lässt.
Die meisten seiner Erzählungen hat Clowes, ebenso wie Ware, zunächst in seiner eigenen Serie produziert. Seine Independent-Comicreihe Eightball ist fester Bestandteil der amerikanischen Comic-Avantgarde. Aus diesen Fortsetzungsgeschichten entwickelten sich ganze grafische Romane wie Ghost World und Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln. Auch wenn Clowes‘ Arbeit als Wegbereiter der Graphic Novel gesehen wird, so hält der Künstler nicht viel von dieser Einteilung. Die Ausnahme von der Serialisierung bildet Wilson, eine Graphic Novel, die Anfang des Jahres im Eichborn Verlag erschienen ist.
So unspektakulär wie der Name klingt, ist auch das Leben der Hauptfigur. Wilson wohnt mit seinem Hund in einer Kleinstadt und arbeitet dort in einem langweiligen Job. Als er vom baldigen Tod seines Vaters erfährt, der an Krebs leidet, macht er sich auf die Reise. An dieser Stelle würde man sicherlich einen gewaltsamen Bruch mit dem ermüdenden Alltag oder eine spirituelle Reise a la Daivd Lynchs The Straight Story erwarten, doch weigert sich Clowes konsequent aus seinem ewig nörgelnden Protagonisten einen Helden zu machen. Für ein coming of age ist bereits zu spät. Nach dem Tod seines Vater sucht Wilson nach seiner Ex-Frau und dem Sinn des Lebens, nur um zu erfahren, dass er eine Tochter hat. Aber auch dieser Hoffnungsschimmer löst keinen change of heart aus.
Der gesamte Comic besteht aus Episoden, one-pagern, die Clowes in das narrative Gefüge der Handlung einbindet und fortsetzt. So stellt jede einzelne Seite einen abgeschlossenen Teil der Entwicklung von Wilson dar. Doch Wilson entwickelt sich nicht. Es bereitet sichtlich Schmerzen diesem Mann mittleren Alters und ohne Perspektive zuschauen. Während seine brutal ehrlichen Sprüche im hilflosen Kampf gegen SUVs zum Mitlachen anregen, bleibt eben dieses Lachen in der Kehle stecken, wenn Wilson auf die gleiche Art und Weise auf intime Gefühlsbekundungen seiner Lieben reagiert.
Clowes beschreibt in Wilson aber nicht nur eine bestimmte Klasse Mensch, sondern auch ein uneinsichtiges Amerika. Ein Amerika, das nicht mehr in der Lage ist, über seine eigenen Aktionen zu reflektieren und sich deshalb wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt. Eigentlich sollte man böse auf den dummen Dickhäuter sein, doch vermischt sich der Ärger schnell mit Mitleid, da man einsieht, dass er nicht anders kann und sich selbst dabei genauso sehr verletzt, wie die Menschen um ihn herum.
Auch grafisch fängt Clowes die Ambiguität ein. Er taucht die amerikanischen Vororte mit ihren Diners in blasse Pastelltöne, die förmlich nach kräftigeren Farben schreien. Wilson spiegelt ein Amerika wider, das sich mit seiner Rolle als tristem Lebensraum für Menschen abgefunden hat. Hier wird kein amerikanischer Traum mehr geträumt. Ein interessante grafische Eigenheit bietet der wechselnde Stil des Comics: Der Protagonist, und mit ihm der gesamte Stil der einzelnen Episoden, wechselt von Seite zu Seite. Was zunächst im knubbligen Stil eines Funnies gezeichnet ist, wird auf der nächsten Seite zu einem neo-realistischen Porträt eines alternden Mannes.
Mit der vollen Wucht der ausgestreckten Wäscheleine treffen Clowes‘ Pointen in Wilson. Die Clowes-Line mit ihrer wunderbaren Mehrdeutigkeit lässt den Leser zu Boden sinken. Und während dieser noch benommen am daliegt, setzt Clowes bereits auf der folgenden Seite zum nächsten Wrestling-Griff an. Dabei vermischt sich die Verbitterung über den einfältigen Protagonisten mit der aufgestauten Wut über die unsensiblen und beleidigenden Aussagen dieses Versagers. Nach dem Runterschlucken dieser beißenden Mischung bleibt aber nur noch ein fieser Nachgeschmack von Mitleid in der Kehle zurück.
Wilson – Daniel Clowes
Aus dem Englischen von Doris Engelke
Eichborn Verlag, Frankfurt 2010
80 Seiten, 19.95 Euro